Logo MFH

Kampagne gegen die Straflosigkeit

Gerechtigkeit heilt

Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum e.V.

Im Namen der Menschheit
Die Entwicklungen der Internationalen Tribunale in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen

Von Bianca Schmolze

„Kein Vergeben – kein Vergessen!“ – dies ist seit vielen Jahren die weltweite Forderung von Überlebenden und Angehörigen von Opfern schwerer Menschenrechtsverletzungen, die dafür kämpfen, die systematische Straflosigkeit von Tätern und Hauptverantwortlichen für schwere Menschenrechtsverletzungen zu beseitigen. Neben der gerichtlichen Bestrafung der Täter fordern sie Wahrheit und Aufklärung sowie integrale Entschädigungen. Darüber hinaus zählt zu ihren Forderungen, dass sich die grausamen Ereignisse „Nie Wieder!“ wiederholen dürfen1.
Überlebenden- und Angehörigenorganisationen weltweit, vor allem aber in Lateinamerika, ermöglichten durch ihren unermüdlichen Einsatz über mehrere Jahrzehnte hinweg wichtige Fortschritte im Kampf gegen Straflosigkeit, auch auf internationaler Ebene. Insbesondere der Süden Lateinamerikas war in den letzten 25 Jahren ein wahres Laboratorium der Vergangenheitspolitik, deren Erfolge im Kampf gegen Straflosigkeit durch soziale Bewegungen erkämpft und maßgeblich mit Hilfe des Interamerikanischen Rechtssystems umgesetzt werden konnten.


Das Interamerikanische Rechtssystem

Das Interamerikanische Rechtssystem ist der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) unterstellt und basiert auf der Amerikanischen Menschenrechtskonvention aus dem Jahr 1978. Es besteht einerseits aus der Interamerikanischen Menschenrechtskommission sowie dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte. All jene Staaten, die die Amerikanische Menschenrechtskonvention anerkannt haben, unterliegen seiner Rechtsprechung und verpflichten sich somit, schwere Menschenrechtsverletzungen zum Schutz der Menschenrechte vor Gericht zu bringen. Zudem müssen die Mitgliedsstaaten sämtliche Hindernisse für eine umfassende Aufarbeitung der Verbrechen beseitigen.
Überlebende und Angehörige von Opfern, die ihren Fall zur Anzeige bringen möchten, können sich mit einer Petition an die Menschenrechtskommission wenden. Zwar kann diese kein strafrechtliches Urteil fällen, doch kann sie in Verhandlungen mit der angeschuldigten Regierung versuchen, eine Lösung herbeizuführen. Gelingt dies nicht, kann die Kommission das Verfahren zur Entscheidung an den Gerichtshof verweisen, dessen Urteile dann für die Unterzeichnerstaaten der Konvention bindend sind.
Im Laufe seiner Arbeit hat der Gerichtshof stets eine hohe Bereitschaft zu einer sehr weiten Auslegung der Menschenrechtskonvention gezeigt und somit wichtige Präzedenzfälle geschaffen, die Überlebende und Angehörige der Opfer im Kampf gegen Straflosigkeit massiv gestärkt haben.2 

Während die Menschen in Lateinamerika somit zumindest eine Institution hatten, an die sie sich wenden konnten, um Fälle von Verbrechen gegen die Menschheit anzuzeigen, und auch in Europa ein europäisches Menschenrechtssystem entstand, war dies in Afrika und Asien nicht der Fall. Zwar konnten sich Überlebende an verschiedene Einrichtungen und Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen3  wenden, doch war eine strafrechtliche Verfolgung von Verbrechen lange Zeit nicht denkbar. Immer wieder stießen Überlebende und Angehörige von Opfern regelmäßig an die Mauern des Schweigens. Der politische Wille von Regierungen für eine gerichtliche Aufarbeitung fehlte. Daher wurde immer wieder auf Amnestien zurückgegriffen, um die Täter in die Straffreiheit zu entlassen.
Bis vor wenigen Jahren galt es somit als normal, dass Diktatoren entweder ins Exil gingen und dort einen weitgehend unbehelligten Lebensabend verbrachten oder gar im Land blieben und später als Präsidentschaftskandidaten im formaldemokratischen Gewand erneut antraten.
Erst mit dem Ende des Kalten Krieges konnte schrittweise an jene Rechtsgrundsätze angeknüpft werden, die mit den Nürnberger Prozessen ihre Weltpremiere hatten.


Die UN als Wegweiser für internationale Prozesse

Seit den 1980er Jahren hatte es innerhalb der UN umfangreiche Studien zur Amnestiefrage und zur Notwendigkeit der strafrechtlichen Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschheit gegeben. Seither wurden wichtige internationale Menschenrechtsstandards, wie u.a. die Antifolterkonvention, der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, die Konvention gegen das gewaltsame Verschwindenlassen, die Konvention zum Schutz von MenschenrechtsverteidigerInnen, die Kinderrechtskonvention und nicht zuletzt die Römischen Verträge von 1998, welche die Rechtsgrundlage des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag darstellen, etabliert.
Noch während die UN die Rechte von Überlebenden und die Notwendigkeit der Beendigung der systematischen Straflosigkeit durch jene Menschenrechtsverträge zu stärken suchte, nahmen bereits Mitte der 1990er Jahre die ersten UN-Tribunale ihre Arbeit auf. Mit ihrer Hilfe sollten die Hauptverantwortlichen für Verbrechen gegen die Menschheit im Zuge des Krieges in Ex-Jugoslawien bzw. des Völkermords in Ruanda strafrechtlich zu verfolgen. Doch schnell erkannte man die Grenzen dieser internationalen Gerichte. Denn trotz einiger wichtiger Präzedenzfälle konnten sie nur wenige Schlüsselpersonen zur Rechenschaft ziehen und meist nicht zur Stärkung der lokalen Gerichtsstrukturen und Rechtsstaatlichkeit beitragen. Die Erfahrung zeigte zudem, dass Prozesse, die nicht in dem Land stattfanden, sondern in Den Haag oder im tanzanianischen Arusha, in dem die Verbrechen begangen worden waren, oft keine lokale politische und soziale Dynamik gegen die Straflosigkeit auslösten.
Vor diesem Hintergrund erhoffte man sich für die Aufarbeitung der Konflikte in Sierra Leone, Osttimor und Kambodscha bessere Resultate in Form so genannter Hybrid-Strukturen. Hier arbeiten nationale und internationale Justiz personell zusammen und die RichterInnen ziehen zur Urteilsfindung sowohl nationales als auch internationales Recht heran. Während bei den Gerichtshöfen in Sierra Leone und Osttimor trotz Unzulänglichkeiten der Hybrid-Charakter positiv dominierte, gelang es der kambodschanischen Regierung im Zuge jahrzehntelanger Verhandlungen und Verzögerungen den Hybrid-Charakter in nationale Dominanz zu pervertieren und so die gerichtliche Aufarbeitung unter ihre Kontrolle zu bringen.
Mit der Verabschiedung des Rom Statuts im Jahr 1998 wurde schließlich der Grundstein gelegt für die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, der seit 2002 seine Arbeit aufgenommen hat. Das Gericht kann per Mandat Fälle von Verbrechen gegen die Menschheit verhandeln, die seit Juli 2002 durch Unterzeichnerstaaten des Rom Statuts begangen wurden. Für Verbrechen durch Nicht-Unterzeichnerstaaten ist ein Beschluss des UN-Sicherheitsrats notwendig. Aktuell ermittelt der Internationale Strafgerichtshof zu Verbrechen gegen die Menschheit, die in Uganda, der Demokratischen Republik Kongo, der Zentralafrikanischen Republik sowie im Sudan begangen wurden.


Der Aufarbeitungsprozess in Ruanda, Sierra Leone, Osttimor und Kambodscha4

Nach den Völkermorden in Ruanda und Kambodscha sowie den Bürgerkriegen in Sierra Leone und Osttimor, war bei den Überlebenden und Angehörigen der Opfer der Wunsch nach gesellschaftlicher und strafrechtlicher Aufarbeitung der begangenen Verbrechen weit verbreitet. Dennoch waren es vor allem die Vereinten Nationen, die in diesen Ländern nicht nur die Forderung nach, sondern auch die Umsetzung von Mechanismen zur Aufarbeitung und Beendigung der Straflosigkeit getragen haben.
Die mangelhafte Initiative der jeweiligen Übergangsregierung ist dabei nicht zwangsläufig als Fehlen politischen Willens zu interpretieren. Vielmehr standen die jeweiligen Übergangsregierungen in Ruanda, Sierra Leone, Osttimor und Kambodscha vor der schwierigen Situation, das Land überhaupt erst wieder in einen regierungsfähigen Zustand bringen zu müssen. Weite Teile des Landes, seine Institutionen und Infrastruktur in Städten und Dörfern, waren zerstört. Vor diesem Hintergrund spielten in jenen Ländern zunächst Fragen des Wiederaufbaus eine zentrale Rolle.
Die Vereinten Nationen wiederum entschieden, möglichst zeitnah zu den begangenen Verbrechen auch gerichtliche Aufarbeitung zu ermöglichen, um den Überlebenden und Angehörigen der Opfer zu ihrem Recht auf Gerechtigkeit zu verhelfen. Während die UN während der jeweiligen Konflikte sich vor allem durch Untätigkeit und Ignoranz ausgezeichnet hatten, stellten sie nach deren Ende sämtliche notwendigen Einrichtungen sowie Personal für die strafrechtliche Verfolgung von Hauptverantwortlichen für Verbrechen gegen die Menschheit zur Verfügung.

In Ruanda stieß dieses Engagement durch die UN bei der Regierung nicht auf ungeteiltes Wohlwollen. Dies hing einerseits damit zusammen, dass die Regierung Kagamé ein weitergehendes Mandat für das UN-Tribunal, Prozesse im Inland und vor allem gegen möglichst viele Täter forderte. Auch existierte noch immer ein Grundmisstrauen gegenüber den Vereinten Nationen vor dem Hintergrund ihrer absoluten Untätigkeit während des Völkermords 1994 an den Tutsi und gemäßigten Hutu. Das UN-Tribunal führte jedoch lediglich Prozesse gegen Hauptverantwortliche des Völkermords, wenn auch mit Erfolg. Gegen mehr als 70 Personen erließ das Tribunal Haftbefehle, eröffnete Gerichtsverfahren und verurteilte hauptverantwortliche Täter, die heute ihre Strafen im Gefängnis absitzen müssen. Gemeinsam mit dem UN-Tribunal für das ehemalige Jugoslawien konnten wichtige neue internationale Rechtsnormen, insbesondere in Fällen von sexualisierter Gewalt, etabliert werden. Erstmals wurde sexualisierte Gewalt als Verbrechen gegen die Menschheit und Akt des Völkermords eingestuft.
Doch trotz dieser juristischen Erfolge gelang es dem UN-Tribunal nur unzureichend, die Menschen in Ruanda zu erreichen. Die Prozesse galten als zu weit weg, fremdgesteuert und den Bedürfnissen der Überlebenden nicht gerecht werdend. Auch die Regierung hielt sich auf Distanz. Zwar kooperierte sie mit dem UN-Tribunal. Gleichzeitig saßen jedoch Hunderttausende Völkermordverdächtiger in ruandischen Gefängnissen unter unmenschlichen Bedingungen und warteten auf ihren Prozess. Die Regierung hatte international um Hilfe gebeten, um rechtsstaatliche Prozesse gegen die Verdächtigen führen zu können und weitere Gefängnisse zu bauen, um die Haftbedingungen zu verbessern. Diese Hilfe allerdings blieb aus. Stattdessen richtete die Regierung, parallel zu den Prozessen vor dem UN-Tribunal, Sonderkammern an den nationalen Gerichten ein. Schnell wurde jedoch deutlich, dass auch die Sonderkammern nicht helfen konnten, die Gefängnisse zu leeren. Zwar wurden Tausende Urteile gefällt – dies jedoch vor dem Hintergrund eines unzureichenden Justizsystems. Demgegenüber standen im Jahr 2002 noch immer bis zu 500.000 Verdächtige. Viele von ihnen saßen mittlerweile seit fast acht Jahren im Gefängnis, ohne je einem Richter vorgeführt worden zu sein.
Vor diesem Hintergrund wagte die ruandische Regierung ein weltweit einzigartiges Experiment. Sie zog eine alte ruandische traditionelle Rechtsprechung heran, die einem Schlichtungsverfahren für innergemeinschaftliche Konflikte glich und damit das Ziel der Wiederbelebung der Gemeinde, und nicht vorrangig die Bestrafung der Täter, verfolgte. Seit 2002 allerdings wurden diese Gacaca-Gerichte auch für Völkermordverbrechen angewandt. Wenig ausgebildete LaienrichterInnen entschieden über Schuld und Unschuld und darüber, ob die Verurteilten eine Gefängnisstrafe, oder die Möglichkeit erhalten, ihre Haft durch Arbeiten für die Gemeinde zu ersetzen. Dabei wurde wenig Rücksicht auf die Bedürfnisse der Überlebenden genommen. Während es u.a. keinen Zeugenschutz gab und für die Überlebenden strenge Vorschriften während der Anhörungen galten, mussten sich die Beklagten lediglich gegenüber der Gemeinde entschuldigen, woraufhin ihnen die Wiedereingliederung in die Gemeinde ermöglicht wurde. In den Augen zahlreicher Überlebender gelten die Gacaca daher nicht als der Gerechtigkeit dienlich.
Die Aufarbeitung des Völkermords in Ruanda zeigt, wie schwer es ist, einerseits der Notwendigkeit der strafrechtlichen Verfolgung bei einer massiven Täterzahl nachzukommen, andererseits die Rechte und Bedürfnisse der Überlebenden als auch der Gesellschaft ernst zu nehmen. Zwar wurde versucht, den Völkermord auf mehren Ebenen aufzuarbeiten, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen und die Wahrheit aufzudecken. Dennoch leben Überlebende und Angehörige von Opfern des Völkermords auch heute noch in Angst. Denn mittlerweile sind Tausende Gefängnisinsassen freigelassen worden und leben nun wieder in ihren Gemeinden. Zudem bestehen die ethnisierten Konflikte weiter fort und all jene, die sich für die Aufklärung der Verbrechen des Völkermords einsetzen, riskieren, Opfer von Gewalt zu werden.

Für die Aufarbeitung der Verbrechen des elfjährigen Bürgerkriegs in Sierra Leone setzten die Vereinten Nationen schließlich ein weiterentwickeltes Modell eines internationalen Tribunals ein. Der Sondergerichtshof für Sierra Leone beruht nicht mehr auf einer Entscheidung des UN-Sicherheitsrats, sondern auf einem gemeinsamen Vertrag zwischen UN und sierraleonischer Regierung. Im Gegensatz zu den bisherigen UN-Tribunalen erhielt der Sondergerichtshof seinen Sitz in Sierra Leone, um die Partizipations- und Identifizierungsmöglichkeiten für die Bevölkerung zu erhöhen. Um die Unabhängigkeit des Tribunals zu unterstreichen, wurde es als Hybrid-Tribunal mit mehrheitlich internationalem Personal konzipiert. Sein Mandat umfasst die strafrechtliche Verfolgung der Hauptverantwortlichen für Verbrechen gegen die Menschheit im Zuge des Bürgerkriegs.
Die Arbeit des Sondergerichtshofs zeichnet sich bisher durch zahlreiche Erfolge aus. Hierzu zählen insbesondere der Umgang mit Kindersoldaten, die Anerkennung sexualisierter Gewalt als Verbrechen gegen die Menschheit und eine Ausgewogenheit der Anklagen und Urteile. Den bisher größten Erfolg erzielte der Sondergerichtshof jedoch mit der erfolgreichen Eröffnung eines Gerichtsverfahrens in Den Haag gegen den ehemaligen liberianischen Präsidenten Charles Taylor. Dank eines sehr effizienten Outreach-Programms gelang es dem Tribunal zudem, das Vertrauen der sierraleonischen Bevölkerung zu gewinnen.
Während das Hybridmodell eines internationalen Tribunals in Sierra Leone einige wichtige Vorteile aufweisen kann, so sind zumindest zwei wesentliche Nachteile zu benennen. Die Konzipierung des Hybridtribunals auf der Basis eines bilateralen Vertrages bringt es mit sich, dass es keinerlei Kooperationsverpflichtungen für Drittstaaten gibt – anders bei den UN-Tribunalen für Ex-Jugoslawien und Ruanda. Dies führte dazu, dass selbst die in Sierra Leone stationierte UN-Mission ihre Zusammenarbeit mit dem Gericht vor allem auf technische und infrastrukturelle Fragen reduzierte. Auch der personelle Aspekt des Hybridmodells ist nur unzureichend umgesetzt, denn das lokale Personal arbeitete vor allem in den nicht-juristischen Bereichen, spielte jedoch eine unersetzliche Rolle für die kulturelle Verankerung des Tribunals im Land.
Obwohl die parallel arbeitende Wahrheitskommission maßgeblich von den UN unterstützt wurde, gelang es ihr nicht, das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. Zwar sammelte die Kommission in nur vier Monaten fast 8.000 Aussagen, eine ungeheuerliche Leistung angesichts der schlechten Infrastruktur und Mobilität im Lande. Dennoch ermittelte sie lediglich 4.500 Todesfälle, was die Kommission in den Augen der Überlebenden entwertete angesichts der zahllosen Massaker mit einer geschätzten Zahl von 75.000 Toten. Darüber hinaus wurde die Arbeit der Kommission zumeist täterzentriert und versöhnungsorientiert wahrgenommen, wodurch die Kommission eines der maßgeblichen Ziele einer Wahrheitskommission verletzte: die Anerkennung des Erlittenen von Überlebenden und Angehörigen von Opfern und die Wiederherstellung ihrer Würde.

Anders als in Sierra Leone galt in Osttimor vor allem die Arbeit der Wahrheitskommission als besonders erfolgreich. Zwar hatte es auch dort ernsthafte Versuche einer strafrechtlichen Aufarbeitung der Verbrechen während der 24-jährigen indonesischen Besetzung gegeben, die mit Hilfe von durch die UN eingerichteten Sonderkammern an den lokalen Gerichten stattfanden. Doch stießen diese Kammern schon bald im wortwörtlichen Sinne an die Grenzen ihrer Handlungsfähigkeit. Denn die meisten Täter lebten in Indonesien und waren damit für die Sonderkammern in Osttimor nicht greifbar.
Parallel zu den Prozessen vor den Sonderkammern wurde eine Wahrheitskommission eingesetzt, um dem gesellschaftlichen Bedürfnis nach umfassender Aufarbeitung zu begegnen. Doch auch wenn die Kommission eine wichtige Arbeit geleistet hat, den Wunsch nach Gerechtigkeit bei den Überlebenden konnte sie nicht stillen.

Nach dreißig Jahren hoffen heute die Überlebenden in Kambodscha auf eine Aufarbeitung der Verbrechen der Roten Khmer. Nach mehr als zehnjährigen Verhandlungen zwischen den Vereinten Nationen und der kambodschanischen Regierung über die Einrichtung eines internationalen Tribunals, haben die an den lokalen Gerichten eingerichteten Sonderkammern im vergangenen Jahr endlich ihre Arbeit aufgenommen. In diesem Jahrzehnt der Verhandlungen war es der kambodschanischen Regierung gelungen, durch ständige Verzögerungen und neue Forderungen ein Gerichtsmodell durchzusetzen, welches sich zwar als hybrid bezeichnet, aber so gut wie nichts mehr von den ursprünglichen Ideen eines solchen Tribunals hat. Die Verfahren in Kambodscha werden exemplarisch nur für fünf Angeklagte durchgeführt und stehen zudem unter der Kontrolle und dem Einfluss der Regierung, die keinen politischen Willen an einer umfassenden gerichtlichen Aufarbeitung der Verbrechen der Roten Khmer hat und diese untergraben will.


Schlussfolgerung

Die hier betrachteten Tribunale waren ein Versuch der Vereinten Nationen, der systematischen Straflosigkeit von Verbrechen gegen die Menschheit zu begegnen. Dabei haben sie trotz all ihrer Defizite auch einiges bewirkt. Als Vorstufen des Internationalen Strafgerichtshofs haben sie es geschafft, das Rechtsprinzip der universellen Rechtsprechung neu zu verankern, nach der Verbrechen gegen die Menschheit nunmehr weltweit zur Anklage gebracht werden könnten.
Obwohl in den vergangenen Jahren einige wichtige Fortschritte und Weiterentwicklungen in der internationalen Justiz erreicht wurden, müssen jedoch noch immer Lösungen für eine umfassende Vergangenheitspolitik zur Aufarbeitung schwerer Menschenrechtsverletzungen gefunden werden, die vor allem den Bedürfnissen der Überlebenden und Angehörigen der Opfer gerecht werden.
Noch heute werden Tag für Tag Verbrechen gegen die Menschheit begangen und nur die wenigsten Regierungen dieser Welt zeigen einen ernsthaften politischen Willen für eine umfassende Aufarbeitung. Solange Regierungen fortfahren, ihre Verbrechen zu leugnen, Folter zu „verschärften Verhörpraktiken“ umzulügen und durch rechtsfreie Räume die Zuständigkeit jeder Justiz auszuhebeln, und solange die Verantwortlichen sich weiterhin erfolgreich jeder strafrechtlichen Verfolgung entziehen, solange steht der Kampf gegen die Straflosigkeit noch ganz am Anfang.

1 Diese Forderungen mündeten im Jahr 2004 in den von den Vereinten Nationen verabschiedeten Prinzipien über die Rechte von Überlebenden gewaltsamer Konflikte gegenüber dem Staat.
2 Näheres zur Arbeit des Interamerikanischen Rechtssystems siehe http://www.oas.org/oaspage/humanrights.htm
3 Zu diesen zählen insbesondere der UN Sonderberichtserstatter über Folter, der UN Sonderberichterstatter über Gewalt gegen Frauen, der UN Menschenrechtsbeirat sowie der UN Ausschuss gegen Folter.
4 Die Autorin hat ihre Rechercheergebnisse ausführlich in folgendem Buch veröffentlicht: Bianca Schmolze, Knut Rauchfuss (Hrsg.) (2009): Kein Vergeben. Kein Vergessen. Der internationale Kampf gegen Straflosigkeit, ISBN 978-3-935936-79-8, http://www.assoziation-a.de/vor/Kein_Vergeben_Kein_Vergessen.htm

(erschienen in: "Forum Wissenschaft", hrsg. vom Bund demokratischer WissenschaftlerInnen und Wissenschaftler (BdWi), Sept. 2009)

▲ zum Seitenanfang