Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 2.4.03 / KULTUR / MANTEL

 

Proteste in Bochum
gegen Mesut Yilmaz

Uni beruft türkischen Ex-Ministerpräsidenten

Von Jürgen B. Süßmann

WAZ-Bochum. Der frühere Ministerpräsident der
Türkei, Mesut Yilmaz (55), wird für zwei
Semester Gastprofessor an der
Ruhr-Universität. Die Berufung ist in Bochum
allerdings umstritten.

Yilmaz' Gastprofessur kam auf Vorschlag des
Vorsitzenden des "Institutes für European
Affairs", Prof. Jürgen Gramke, zu Stande. Den
früheren KVR-Chef verbindet eine enge
Freundschaft mit Yilmaz.

Letztlich habe dieser Kontakt den Ausschlag
für Bochum gegeben, bestätigte Yilmaz nun. Ihm
lagen Einladungen für Gastprofessuren an
Universitäten in ganz Europa vor. Sein
Engagement an der Fakultät für
Sozialwissenschaften/Fach
Politikwissenschaften, das neben Vorträgen und
Gesprächskreisen ein Seminar "Die Türkei und
Europa" umfasst, erfolgt ehrenamtlich.

Mesut Yilmaz, der in Istanbul geboren wurde
und Wirtschaftswissenschaften in Ankara und
Köln studierte, ist nicht bei allen
willkommen. Die "Kurdistan AG", eine
Studierenden-Vereinigung an der RUB, das der
Uni angegliederte "Institut für Diaspora- und
Genozidforschung" sowie die "Medizinische
Flüchtlingshilfe" protestieren seit Tagen
gegen die Berufung von Yilmaz. Die Vorwürfe
richten sich vor allem gegen die
Kurden-Politik der Türkei. "Für die während
seiner Amtszeiten als Ministerpräsident
begangenen Verbrechen trägt Yilmaz eine
persönliche, politische und moralische
Verantwortung", hieß es gestern im Umfeld
einer Pressekonferenz, zu der neben
Journalisten auch Vertreter kurdischer
Organisationen erschienen waren.

Die zum Teil heftig geäußerten Vorbehalte
gegen den Politiker gipfelten in einem von der
"Flüchtlingshilfe" und dem "Internationalen
Verein für Menschenrechte der Kurden"
unterzeichneten Offenen Brief: "Yilmaz gehört
nicht auf einen Lehrstuhl, sondern auf die
Anklagebank", liest man da. Die
Ruhr-Universität wird aufgefordert, die
Gastprofessur "schnellstens zurückzunehmen".

Doch davon kann keine Rede sein. Rektor Prof.
Gerhard Wagner bekräftigte die Kultur des
"offenen Campus'"; alle, auch die politischen
Fragen um das schwierige Verhältnis der Türkei
zu Europa müssten Gegenstand der Diskussion in
Yilmaz' Veranstaltungen werden.

Das verspricht auch der Ex-Regierungschef.
"Es hat in der Türkei Geschehnisse gegeben,
die nicht zu tolerieren sind. Ich habe als
Ministerpräsident Reformen auf den Weg
gebracht, um den Anschluss meines Landes an
Europa zu erreichen." Die
EU-Vollmitgliedschaft begreife er als Garantie
für eine menschengerechtere Zukunft für Türken
und Kurden.

Der Einmarsch türkischer Truppen in den u. a.
von Kurden besiedelten Nord-Irak gilt Mesut
Yilmaz als "nachvollziehbar". Es handele sich
um eine "Präventiv-Maßnahme gegen den
Flüchtlingsstrom".