Ruhr-Nachrichten, 2.4.03
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Bochum

 

Früher Politiker - heute Professor
Ein hochkarätiger Politiker als Gastprofessor und Dozent an der
Ruhr-Universität Bochum (RUB) - das allein sorgt schon für ein reges
Interesse. Mesut Yilmaz hatte gleich mehrfach das Amt des
Ministerpräsidenten in der Türkei inne. Und seine Vorstellung an der
Bochumer Uni als neuer Gastprofessor geriet gestern mehr zu einem
politischen als zu einer universitären Angelegenheit.

Da half auch die Bitte des Pressesprechers der RUB, Dr. Josef König, wenig,
sich doch auf die universitären Fragen zu konzentrieren. Die rutschten bei
der Pressekonferenz sehr schnell nach hinten - die aktuelle Weltpolitik
bestimmte die Diskussion. Vertreter von türkischen Tageszeitungen und
Nachrichtenagenturen hatten sich ebenso eingefunden wie kurdische
Studentenorganisationen. Und die wollten anderes wissen als Einzelheiten zu
Yilmaz`s Gastprofessur in der Fakultät für Sozialwissenschaften.

Seine Haltung zu der aktuellen türkischen Politik im Nord-Irak, seine
Meinung über den Krieg und seine Rolle bei der innertürkischen
Kurden-Politik der letzten Jahre - all das war gefragt und ließ fast
vergessen, worum es eigentlich ging. Schnell zeigte sich dabei die lange
politische Erfahrung von Yilmaz, unter anderem als Staats-, Kultus- und
Außenminister: Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Die militärische
Intervention im Nordirak sei rein präventiv zu verstehen, einen
Flüchtlingsstrom wie 1991 könne sich die Türkei zurzeit nicht leisten. Mit
der Irak-Politik der jetzigen türkischen Regierung sei er nicht
einverstanden. Und den amerikanischen Einmarsch im Irak halte er
gerechtfertigt, jedoch nicht für legal. Einzig Fragen zu seinen vergangenen
Amtshandlungen, speziell zur Kurdenpolitik, blockte er stereotyp ab: Die
gegen ihn erhobenen Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen während seiner
Amtszeit seien schlicht falsch.

Sowohl Dr. Josef König als auch Prof. Dr. Jürgen Gramke, Honorarprofessor in
der Fakultät für Sozialwissenschaften an der RUB, versuchten mehrfach, den
Blickwinkel der Diskussion wieder auf die Gastprofessur von Yilmaz zu
lenken. Der in Istanbul geborene Ex-Politiker wird im Sommersemester 03 und
im Wintersemester 03/04 jeweils an drei Tagen im Monat Blockseminare
abhalten. Thematischer Schwerpunkt seiner Tätigkeit: Integration der Türkei
in die EU sowie die politischen Entwicklungen im Mittelmeerraum. Westliche
Wissenschaftler, so Yilmaz, hätten gegen Ende des 20. Jahrhunderts
prophezeit, dass das 21. Jahrhundert zum Schauplatz des Kampfes der
Kulturen, speziell Westen gegen Islam, werden würde. Er möchte mit den
Studierenden darüber reden, ob dieser Kampf noch vermieden werden könne. Und
möglichen Protesten während seiner Veranstaltungen sieht Yilmaz gelassen
entgegen. Er sei, sagte er, an so etwas gewöhnt.tgk