DeutschlandRadio, Campus & Karriere, 15.5.2003
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Umstrittene Gastprofessur
Der ehemalige türkische Ministerpräsident Yilmaz in Bochum

Besonders Kurden demonstrierten gegen Ex-Ministerpräsident Mesut Yilmaz (Foto: AP)

Eine neuer Professor? An den meisten Universitäten bemerken viele Studenten das spät oder gar nicht. Anders ist es an der Ruhr Universität Bochum: Dort sorgt die Gastprofessur des ehemaligen türkischen Ministerpräsidenten Mesut Yilmaz schon seit Wochen für Aufruhr. Gestern Abend hat Yilmaz zum ersten Mal zu seinem Thema "Europa und die Türkei" gesprochen. Die Veranstaltung war nicht öffentlich - trotzdem musste Mesut Yilmaz von der Polizei geschützt werden.

Stumm und mit anklagenden Blicken stehen sie im Regen. Studenten, Menschenrechtler, Kurden. Alle halten Plakate hoch, Bilder von Menschen, die in der Türkei verschollen sind. Aus Protest gegen Mesut Yilmaz, der im Haus der Freunde der Universität Bochum wenig später sprechen soll. Warum viele das gerne verhindern würden, erklärt Tilo Machalla vom Bochumer ASTA.

Wir finden es schwierig, dass Herr Yilmaz hier als Gastprofessor eingeladen wird, da gerade Yilmaz als ehemaliger Ministerpräsident eine Person ist, die sehr viel mit Menschenrechtsverletzungen in der Türkei zu tun hat, gegen den es Korruptionsvorwürfe gibt. Und wir finden es schwierig, dass so jemand hier sehr unkritisch einfach nur als Europaexperte der Türkei vorgestellt werden soll.

Auch Yusuf Chilik protestiert. Er ist einer von etwa 500 Kurden, die an der Ruhr-Universität studieren. Für Yusuf ist das Engagement von Yilmaz weit mehr als ein akademisches Problem. Denn er ist direkt betroffen: Als er fünf Jahre alt war, floh seine Familie aus der Türkei.

Für uns ist das wirklich eine Zumutung für die Opfer, zu hören, dass ein Kenner der Branche - wie es die Universitätsleitung sagt, hier nach Bochum eingeladen wird. Also für uns ist das mehr Ironie. Und das ist für uns fast untragbar. Also das ist meines Erachtens schon ein Grund ihn auszuladen.

Der Protest ist heftiger, als erwartet. Gerade deshalb stellt sich die Universität schützend vor ihren Gastdozenten und weist die Vorwürfe zurück. Mesut Yilmaz habe immer dem Reformflügel in der Türkei angehört, begründet die Universität ihre Wahl. Man habe mit Yilmaz einen international anerkannten Experten gewinnen können. Nach Ansicht des Initiators der Gastprofessur, Jürgen Gramke, ist das Engagement von Mesut Yilmaz ein großer Erfolg für die Ruhruniversität.

Der wird international überall auftreten, in der Kulturhauptstadt Europas, Salzburger Festspiele miteröffnen. Also er ist gefragt, weil man weiß von ihm, dass er der engagierteste und leidenschaftlichste Kämpfer für die Brücke der Türkei zu Europa ist und ich glaube, dass mich diese innere Leidenschaft am meisten überzeugt hat, zu sagen: Er muss kommen.

Und nach langem Warten kommt er auch: Mesut Yilmaz, der all die Diskussionen ausgelöst hat, betritt freundlich und gelassen das "Haus der Freunde". Fast verschmitzt kommentiert er die Proteste vor der Tür:

Ich bin daran gewöhnt. Das macht mir nichts aus. Man hat mir gesagt, diese Gruppen waren schon seit einiger Zeit ziemlich passiver geworden. Ich glaube, meine Gastprofessur hat ihnen den Anlass zur Wiedergeburt gegeben.

Doch sobald es um den Vorwurf der Menschenrechtsverletzung geht, wird Mesut Yilmaz ernst. Er verlangt von den Demonstranten, zwischen ihm und dem türkischen Staat zu unterscheiden.

Ich habe alles mögliche getan, um diese Menschenrechtsverletzungen in der Türkei, die als Folge einer Terrorbekämpfung zustande gekommen sind, zu verhindern.

Schließlich macht Mesut Yilmaz sogar ein vorsichtiges Gesprächsangebot in Richtung der Demonstranten, denen die Polizei den Zugang zum "Haus der Freunde" verweigert.

Wenn die bereit sind, mit mir in friedlicher Weise alles zu diskutieren, bin ich auch bereit.

Draußen, im Nieselregen, wird diese Nachricht mit Skepsis aufgenommen. Tilo Machalla sagt, dass Mesut Yilmaz bei der bisher einzigen direkten Konfrontation mit Fragen der Demonstranten - auf einer Pressekonferenz Anfang April - sehr verschlossen war.

Unsere Erfahrung war, als wir versucht haben mit ihm in Dialog zu treten, dass er eben die Antworten verweigert oder Gespräche verweigert. Dieses Angebot von ihm ist jetzt komplett neu, da muss man vielleicht gucken, was da überhaupt dran ist.

Unabhängig davon haben der AStA und die Menschenrechtsgruppen aber jetzt schon eines beschlossen: Sie wollen jeden der Auftritte von Mesut Yilmaz mit ihren Protesten begleiten. Für den heutigen Abend ist bereits eine große Kundgebung in der Bochumer Innenstadt angemeldet. Damit wollen die Demonstranten den ersten - für alle zugänglichen - Vortrag von Mesut Yilmaz stören. Der Ruhr-Universität Bochum steht also ein unruhiges Jahr bevor.

Ein Beitrag von Julia Friedrich

 

Links zum Thema:
Pressemitteilung der Ruhr-Universität Bochum über die Gastprofessur von Mesut Yilmaz