"Anklagebank statt Lehrstuhl"
Rede zur Kundgebung am 17. Juni 2003,
von Knut Rauchfuss, Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum
Liebe Freundinnen, liebe Freunde,
Dem ehemaligen jugoslawischen Ministerpräsidenten Slobodan Milosevic wird in Den Haag vor einem
Tribunal der Prozess gemacht. Der Ex-Präsident Perus, Alberto Fujimori, befindet sich auf der Flucht
vor einem internationalen Haftbefehl und hält sich in Japan versteckt. Der greise einstige Diktator
Chiles, Augusto Pinochet, stand wenigstens für eine Weile in London und in Santiago unter Hausarrest.
Zahlreiche Menschenrechtsverbrecher sehen sich heute Anklagen vor internationalen Gerichten gegenüber.
Der türkische Ex-Premier Mesut Yilmaz aber hat eine Gastprofessur in Bochum.
Auf Wunsch der Ruhr-Universität hat er nun damit begonnen, seine Erfahrungen an Bochumer Studentinnen
und Studenten weiterzugeben. Doch dieser Mann ist politisch verantwortlich für all jene
Menschenrechtsverletzungen, die während seiner drei Amtszeiten als Ministerpräsident begangen
wurden.
Herr Yilmaz, haben Sie die kurdischen Dörfer gezählt, die mit Napalm bombardiert und in Schutt und
Asche gelegt wurden? Haben Sie jemals einen Blick auf die zerborstenen Schädel von GewerkschafterInnen
und Studierenden geworfen, die Ihre Polizeiknüppel zum Platzen brachten? Haben Sie auch nur einem
Angehörigen jener Menschen ins Gesicht gesehen, deren Existenz Sie von diesem Planeten tilgen
ließen, die verschwanden in Polizeirevieren und den Kellern des Geheimdienstes - ausgelöscht,
verschwunden, als hätte es sie nie gegeben?
Wie viele MenschenrechtsaktivistInnen, Herr Yilmaz, wie viele kritische JournalistInnen, die verhaftet und
gefoltert wurden, haben Sie aus dem Gefängnis geholt? Und wer von ihnen hat auch nur eine kleine
staatliche Entschädigung für das Leiden erhalten?
Haben Sie die Leichen derer gezählt, deren leblose Körper man, durch Todesschwadrone liquidiert,
unter Brücken und an Ausfahrstraßen der Städte wiederfand, mit Stacheldraht gefesselt und zu
Tode geprügelt? Was sagen Sie den Frauen, die auf Ihren Polizeiwachen, Herr Yilmaz, auf Ihren
Polizeiwachen vergewaltigt wurden? Was den Menschen, die in Barackensiedlungen hausen, weil ihnen das Dach
über dem Kopf weggeschossen wurde?
Was erklären Sie den Angehörigen, die bis heute erfolglos nach dem Schicksal ihrer geliebten
Verwandten fragen? Und was den verstümmelten Kindern, denen Granaten und Minen Arme und Beine
weggerissen haben? Erklären Sie denen auch, sie seien leider nichts weiter als Abkömmlinge von
sogenannten "Terroristen"?
Steht diesen Kindern, ihren Müttern und Vätern, steht all jenen, die gelitten haben, während
Sie, Herr Yilmaz, verschiedene hohe Regierungsämter bekleideten, steht diesen Menschen kein Recht auf
Leben, kein Recht auf Würde, Gesundheit und körperliche Unversehrtheit, auf eine unbeschwerte
Kindheit oder auf ein Dach über dem Kopf zu?
Herr Yilmaz, wir wissen, Sie haben nichts unternommen, um all dieses Unrecht zu verhindern! Nicht einen
Finger haben Sie gekrümmt, um Militär und Polizei in der Türkei auch nur minimal in die
Schranken zu weisen. Sie waren eine Marionette, ein Erfüllungsgehilfe des Militärs, mit dem
gemeinsam Sie im nationalen Sicherheitsrat der Türkei die brutalen Maßnahmen gegen
Oppositionelle, gegen die kurdische Bevölkerung und gegen andere Minderheiten verabschiedeten. Sie
haben dies wissend, vorsätzlich und sehenden Auges getan. An Ihren Händen klebt das Blut dieser
Menschen.
Auch zu Ihrer Zeit wurden die schmutzigsten Verbrechen des türkischen Staates durch bezahlte
Auftragskiller der Mafia erledigt, durch eine Mafia, zu der Sie persönliche Verbindungen unterhielten.
Was also, Herr Yilmaz, was wollen Sie Studentinnen und Studenten in dieser Stadt künftig lehren?
Die Brutalität, mit der Ihre Schergen wehrlose Menschenkörper unter Strom setzen ließen? Den
Rassismus, der zum Völkermord an der armenischen und kurdischen Bevölkerung Ihres Landes
führte? Die Gewissenlosigkeit, mit der Ihr Name symbolhaft verknüpft ist? Die Feigheit, mit der
Sie jede Verbindung zu diesen Gräueltaten von sich weisen? Die Käuflichkeit des politischen
Systems, dem Sie Ihre finanziellen Rücklagen verdanken?
Oder die Ehrlosigkeit, mit der Sie immer wieder hier erscheinen, obgleich Ihnen die
Menschenrechtsorganisationen und die öffentliche Meinung dieser Stadt den Stuhl längst vor die
Tür gesetzt haben?
Herr Yilmaz, wir demonstrieren heute hier, um Ihren Namen - den Namen eines Täters - herauszuschreien,
stellvertretend für all jene, die Sie unwidersprochen zum Schweigen bringen ließen. Um klar zu
benennen, wer sich hinter der Maske dieser Gastprofessur zu verstecken sucht. Und wir stehen hier, um die
öffentliche Aufmerksamkeit auf all jene zu lenken, die in gleicher Weise wie Sie Menschenrechte und
Menschenwürde in der Türkei verletzt, die Demokratie und Freiheit mit Füßen getreten
und mit Panzern zerschossen haben. Um aufmerksam zu machen auf all die anderen Mörder und Folterer -
und auf die übrigen Schreibtischtäter vom Zuschnitt eines Mesut Yilmaz, mit dem Finger zu zeigen
auf die Täter in den Kasernen, Polizeiwachen und Folterzentren, ebenso wie in den Amtsstuben und im
Regierungspalast.
Herr Yilmaz, um Ihre Erinnerung aufzufrischen - und die der scheinbar ahnungslosen Fakultät - haben wir
genauestens recherchiert. Und ein entsprechendes Dossier vorgelegt. Was fällt Ihnen dazu ein,
außer, dass wir sogenannte "Terroristen" seien?
Waren Sie es nicht, der auch nach dem Blutbad, das Ihre Polizei unter den Beerdigungsgästen des
Menschenrechtlers Vedat Aydin anrichtete, bereits mit ähnlichen Worten vor sogenannten
"separatistischen Provokationen" warnte? Waren Sie es nicht, der die niedergebrannten kurdischen
Dörfer im Oktober 1991 als sogenannte "Stellungen der PKK" bezeichnete? Waren es nicht Sie,
der 1993 von der Oppositionsbank aus eine Teilamnestie für politische Gefangene, die als Reaktion auf
einen einseitigen Waffenstillstand der PKK erfolgen sollte - waren Sie es nicht, der eine solche Amnestie
als sogenannte "Konzession an die Terrororganisation" verunglimpfte?
Und Sie waren es, der sich bei seiner Übernahme der Regierungsgeschäfte drei Jahre später
ausdrücklich zur Fortsetzung des Krieges bekannte, der Menschenrechte lediglich als Rechte von
türkischen Menschen im Ausland thematisierte - es sei denn, es handelte sich um kurdische
Flüchtlinge, über die Sie bereits bei Ihrem Staatsbesuch in der Bundesrepublik 1996 wissen
ließen, dass es sich um von der PKK eingeschleuste Asylschwindler handele.
Sie waren es, der der legitimen Regierung Erbakan mit Panzern drohte, bis Sie, Herr Yilmaz, selbst von
diesem Militär an Erbakans Stelle gesetzt wurden. So wie Sie Syrien drohten, mit den Worten: "Wenn
Syrien nicht zur Vernunft kommt, ist es unsere Pflicht, Syriens Welt zum Einsturz zu bringen."
Herr Yilmaz, große Worte und Versprechungen haben Sie gemacht, die Verbindungen zwischen dem
türkischen Staat und dem organisierten Verbrechen aufzuklären. Stattdessen haben Sie Teile des
Abschlussberichtes, den Ihr Chefermittler vorlegte, unter Verschluss gehalten. Erinnern Sie sich, Herr
Yilmaz? Ihre Erklärung dafür lautete damals: "Es könnte sein, dass der Staat später
einmal wieder die gleichen Methoden anwenden muss." Wie wahr. Und Ihren Freund, den Oberfolterer
Yazcioglu, haben Sie ja dann auch zum Gouverneur gemacht.
Und auch Sie haben mit dem organisierten Verbrechen zusammengearbeitet, bis Sie deswegen schließlich
zurücktreten mussten. Wie sah denn der Druck aus, den Sie auf den Bankier Garipoglu ausüben
ließen? Waren es dieselben Methoden, mit denen auch der mit Ihnen in Verbindung stehende Mafiakiller
Cakici die Konkurrenten des Medienzars Yigit bedrohte? Welche Fragen diesbezüglich hat Ihnen der
parlamentarische Untersuchungsausschuss am vergangenen Donnerstag gestellt?
Aber wir, die wir diese Fragen stellen, sind natürlich "Terroristen". Es ist immer wieder
dieselbe ermüdende Leier:
Sie waren es, Herr Yilmaz, der als Ministerpräsident erklärte, eine systematische Folter
fände in der Türkei nicht statt, es handle sich lediglich um "Kampf gegen den
Terrorismus". Und auch als der international anerkannte Menschenrechtler Akin Birdal niedergeschossen
wurde, erklärten Sie zunächst, es handle sich um eine interne Abrechnung der PKK, bis herauskam,
dass die Schützen aus den Reihen Ihres eigenen Geheimdienstes rekrutiert wurden. Ist es das, was Sie
meinten, Herr Yilmaz, als Sie wenig später zugaben: "Wir führen den Kampf ja nicht nur gegen
die Terroristen auf den Bergen, sondern auch gegen die mit den Krawatten in den Städten."?
Es sind immer wieder dieselben Rechtfertigungen, mit denen Sie aufwarten, und es ist immer wieder dieselbe
Strategie, mit der Sie versuchen, Ihre KritikerInnen als sogenannte "Terroristen" zu diffamieren.
Niemand schenkt Ihnen heute mehr Glauben. Vielleicht außer der Universitätsleitung, die sich noch
immer nicht öffentlich von diesen Unterstellungen distanziert hat.
Herr Yilmaz, niemand in diesem Kreis hat auch nur im entferntesten die Absicht, sich die Finger an Ihnen
schmutzig zu machen. Nicht nur, weil Sie heute dafür viel zu unwichtig sind. Nein. Im Unterschied zu
Ihnen, halten wir uns - als Menschenrechtsorganisationen und Friedensgruppen - generell und strikt an die
Prinzipien des gewaltfreien Protestes.
Unsere Handlungsprinzipen sind nicht geprägt von Rache und Vergeltung. Unsere Rache wird es sein, dass
eines Tages in der Türkei, Lehrer ihre Schüler mit einem frechen "Roj bas" zum
Unterricht begrüßen. Unsere Rache wird sein, dass die türkische Polizei in jener Zukunft am
meisten damit zu tun haben wird, den Straßenverkehr zu regeln. Unsere Rache wird sein, dass die Kinder
kommender Generationen, in allen Sprachen ihres Landes schreiben und lesen lernen werden und jedes Buch
lesen dürfen. Nur dass sie dann schon lange schon vergessen haben werden, wie man das Wort
"Panzer" buchstabiert.
Unsere Rache wird sein, dass jeder Mensch seiner Arbeit nachgehen darf, und dass es nur ein Berufsverbot
geben wird: ein Berufsverbot für Folterer und Putschisten, für Auftragskiller und
Drogenhändler, für Generäle und Mafiabosse ... und für Ministerpräsidenten vom
Zuschnitt eines Mesut Yilmaz.