Liebe Ilse Lenz,

da Du Deinen Brief an Martin Budich in Kopie an mich geschickt hast, fühle ich mich aufgefordert, Dir ebenfalls darauf zu antworten.

Selbstverständlich spielt es für die Medizinische Flüchtlingshilfe keine Rolle, ob ein Menschenrechtsverbrecher Mitglied des Europäischen Konvents ist oder nicht. Eine solche Mitgliedschaft macht ihn nicht besser und nicht schlechter. Wir haben das Thema lediglich aufgegriffen, da für die Ruhr-Universität und auch für Dich, diese Mitgliedschaft anscheinend von wesentlicher Bedeutung ist - wesentlicher als die Menschenrechtsverbrechen, für die Euer Gastprofessor verantwortlich zeichnet. Und da ist es schon von Belang, wenn Eure Angaben auch noch falsch sind.

Was Deine Sorgen anbetrifft, die Verantwortlichen für die Kampagne "Anklagebank statt Lehrstuhl" könnten zu gewalttätigen Protesten aufrufen, so kann ich Dich beruhigen.
Ich werde Mesut Yilmaz nicht die Maschinenpistole vorhalten, deren Lauf mir seine Schergen im September 1997 in dem Bauch rammten.
Ich werde nicht seine Veranstaltung stürmen, die Scheiben des Gebäudes mit Schlagstöcken zersplittern und auf seine Gäste einschlagen, wie es seine Anti-Aufstandseinheiten seinerzeit im Hotel Mim in Istanbul mit einer Pressekonferenz, die ich dort gab, machten.
Ich habe auch keine Geheimpolizei, die ihn vor Morgengrauen in seinem Hotelzimmer überfallen und abführen lassen könnte, wie ich es im April 1998 in Diyarbakir erleben durfte.
Ich habe nicht vor, ihm Folterszenen auf den Anrufbeantworter zu spielen. Und wir werden auch nicht mit Motorrädern in die Versammelten hineinfahren und mit Knüppeln ihre Schädel zum Bersten bringen, wie es im März 1998 auf einer Kundgebung in Diyarbakir geschah, auf der ich eine der Bewusstlosen versorgte.
Er wird nicht vor Schüssen fliehen müssen, weil, anders als am 1. Mai 1998 in Istanbul, niemand auf die um ihn Versammelten feuern wird. Und die Versammelten werden beim Verlassen des Gebäudes nicht gebückt ein Spalier von Schlägern passieren müssen, die auf ihren Kopf und ihre Genitalien einprügeln.
Nein Ilse, Du kannst beruhigt schlafen. Ich werde auch nicht jene sieben Schüsse auf Mesut Yilmaz abgeben, mit denen mein Freund, der Menschenrechtler Akin Birdal, am 12. Mai 1998 niedergestreckt wurde. All das wird nicht passieren.
Ich sähe Mesut Yilmaz lediglich gerne hinter Gittern, so, wie sie im Frühjahr 1998 meinen italienischen Freund, den Menschenrechtler Dino Frisullo, inhaftierten und mit ihm Hunderte anderer, die für Freiheit und Frieden einstanden.

Ilse, Du kannst sorglos sein. Als Menschenrechtsorganisation wahrt die Medizinische Flüchtlingshilfe die Prinzipien der Gewaltlosigkeit, anders als Dein Gast. Ob andere Opfer dies genauso sehen, kann ich Dir jedoch nicht versprechen.
Wir zumindest werden Mesut Yilmaz, gewaltfrei - aber entschlossen und nicht als Diskutanten entgegentreten. Es gibt Leute, mit denen diskutiert man nicht, die klagt man an.

Beste Grüße, Knut Rauchfuss