ich
möchte euch ganz herzlich willkommen heißen zu dem
Kongress der Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum:
Gerechtigkeit heilt – Der internationale Kampf gegen die
Straflosigkeit.
Uns erwartet ein spannendes
Wochenende mit ReferentInnen aus aller Welt, mit denen wir
darüber diskutieren werden, wie der Kampf gegen Straflosigkeit
in ihren Ländern organisiert ist und mit welchen
Herangehensweisen die Straflosigkeit beendet oder zumindest in Frage
gestellt werden kann.
Weltweit wird seit der
Verhaftung des chilenischen Diktators Augusto Pinochet in London 1998
mit vermehrtem Einsatz für die juristische Aufarbeitung der in
der Epoche der Militärdiktaturen begangenen
Menschenrechtsverbrechen diskutiert. Dabei wurde und wird von
Menschenrechtsorganisationen und Anwaltsvereinigungen, wie wir sie an
diesem Wochenende hier empfangen dürfen, mit großem
Trickreichtum, einem hohen Maß an Akribie und einem langen
Atem versucht, die Schicksale von Opfern aufzuklären,
Überlebende zu rehabilitieren und die TäterInnen
einer angemessenen Strafe zuzuführen.
Doch
worum geht es uns darüber hinaus im Kampf gegen die
Straflosigkeit?
Im rein strafrechtlichen Sinn geht es bei
der gerichtlichen Verurteilung von Tätern schlichtweg um den
strafrechtlichen Aspekt mit dem Ziel, die Schuldigen wie Folterer,
Auftragskiller und die politisch Verantwortlichen, sowie
Kriegsverbrecher ihrer rechtsstaatlichen Strafe zuzuführen.
Im
historischen Sinne dient der Kampf gegen Straflosigkeit einer
Neudefinition des moralischen Koordinatensystems. Überlebende,
die in der öffentlichen Wahrnehmung oftmals über
Jahrzehnte nicht als Opfer gesehen, sondern zur gesellschaftlichen
Bedrohung umgelogen wurden, erlangen ihren Status als Verfolgte
zurück, während Regierende, Militärs und
Polizei, die im gleichen Zeitraum Träger der
öffentlichen Definitionsgewalt waren, in der
prozessbegleitenden Debatte auf ihre Rolle als Verbrecher
zurückgeworfen werden.
Auch spielt im
Kampf gegen Straflosigkeit die Frage der Entschädigungen eine
wesentliche Rolle. Nur zu oft entbehren Opfer politischer Gewalt
materieller Fürsorge für die Zeit ihrer Inhaftierung,
sie fallen durch soziale Sicherungssysteme und stehen zum Teil bis
heute unter Berufsverbot oder unter dem Entzug bürgerlicher
und politischer Rechte. Die juristische Rehabilitierung und eine
integrale Entschädigung können dazu beitragen, die
Lebenssituation von Überlebenden staatlicher Gewalt zu
verbessern.
Der
Kampf gegen die Straflosigkeit beinhaltet zudem einen
präventiven Ansatz. Erfahrungen aus der alltäglichen
Menschenrechtsarbeit sowie sozialpsychologische Studien belegen, dass
das Ablegen von Verantwortung für die Straftat die
Bereitschaft zu deren Begehung fördert. Die juristische
Verurteilung von Tätern wirkt jedoch dem entgegen und stellt
einen wesentlichen Schritt der Prävention von
Menschenrechtsverletzungen dar.
Ein wesentlicher
Aspekt, den wir auf diesem Kongress beleuchten möchten, ist
der Aspekt „Gerechtigkeit heilt“. Nicht nur
diejenigen, die sich unmittelbar als KlägerInnen oder
ZeugInnen an Gerichtsverfahren beteiligen, sondern auch
Überlebende, die medienvermittelt ihre ehemaligen Folterer auf
der Anklagebank sehen, haben durch die Veränderung ihrer
Position erstaunliche Genesungserfolge erfahren. Dies hängt
unter anderem damit zusammen, dass Überlebende die Opferrolle
verlassen und initiativ werden, Verantwortung bei der Steuerung
demokratischer Prozesse übernehmen und sich gegen ihre
Wehrlosigkeit in der durchlittenen Situation wehren. Die
erfahrene eigene Rehabilitation und die rechtmäßige
Kriminalisierung der Täter erleichtern es, sich
gegenüber den eigenen schmerzlichen Erfahrungen zu
öffnen.
All diese Themenfelder werden
wir eindringlich in den nächsten zwei Tagen diskutieren.
Der
heutige Abend beginnt jedoch mit einer Eröffnungsrede von
Beate Klarsfeld zur Notwendigkeit der Strafverfolgung von
Menschenrechtsverletzungen.
Die meisten von euch werden
Beate Klarsfeld kennen, da sie im Jahre 1968 den damaligen
Bundeskanzler Kiesinger ohrfeigte, um so auf seine
nationalsozialistische Vergangenheit aufmerksam zu machen. Beate
gründete 1979 mit ihrem Ehemann Serge zwei Organisationen:
die
"Fils et Filles des Déportés Juifs de France"
(F.F.D.J.F.), in der die Kinder und Enkel vom Holocaust Betroffener
organisiert sind, und die Beate Klarsfeld Foundation in New York, die
sich der Dokumentation des Holocaust widmet. Die Stiftung hat es sich
zur Aufgabe gemacht, die von Serge Klarsfeld in einer wahren
Sisyphosarbeit zusammengetragenen Namen Verfolgter zu publizieren, die
Aktionen der Klarsfelds zu unterstützen, Naziverbrecher vor
Gericht zu bringen und sich gegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit
zu wehren.
Nach dem Vortrag von Beate werden
dann alle ReferentInnen dieses Kongresses auf die Bühne
gebeten, damit wir sie kurz vorstellen können.
Bevor
es nun losgeht, möchte ich euch darauf aufmerksam machen, dass
Ihr viele Informationen zum Thema Kampf gegen Straflosigkeit an den
Büchertischen findet, an denen einige unserer
Kooperationspartner ihr eigenes Material ausgelegt haben.
Darunter befindet sich ebenfalls Info-Material der MFH.
An
dieser Stelle möchte ich sämtlichen Organisationen
danken, die diesen Kongress mit uns ermöglicht haben.
Unser
ganz besonderer Dank geht an die NRW Stiftung für Umwelt und
Entwicklung, ohne die weder der Kongress noch das Projekt zum Erstellen
einer Studie zum internationalen Erfahrungsaustausch möglich
gewesen wären. Auch die Bochumer Agenda 21 und das
Bischöfliche Hilfswerk misereor haben uns finanziell
unterstützt, wofür wir ihnen sehr dankbar sind.
Eine
besondere Erwähnung gilt letztendlich den Schirmherren und
-damen dieses Kongresses. Zum einen danken wir herzlich Tom Koenigs,
dem Bundesbeauftragten für Menschenrechtspolitik und
Humanitäre Hilfe, dem es leider nicht
möglich war, persönlich zu kommen. Seine
Grußbotschaft werden wir morgen verlesen.
Und mit
besonderer Freude möchte ich nun endlich unserer Schirmherrin
Beate Klarsfeld das Wort übergeben. Wir freuen uns sehr, dass
Sie heute bei uns sind, und freuen uns auf Ihren Beitrag.
Ich
wünsche euch allen einen spannenden und informativen Abend.
Bianca
Schmolze
Leiterin des Projektes "Kampf gegen Straflosigkeit"
der
Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum