Die Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum arbeitet seit Jahren mit Menschen, die schwerste
Menschenrechtsverletzungen überlebt haben. Heute wohnen sie als Flüchtlinge im Ruhrgebiet,
doch für zahlreiche Menschen schafft die Flucht an diesen neuen Ort nicht die erwünschte
Erlösung. Das Erlittene reist mit ihnen und in ihnen.
Wie können Menschen nach Folter und Repression weiterleben? Nachdem sie selbst, Verwandte oder
FreundInnen verhaftet und gefoltert wurden? Wie schaffen es Menschen, wieder zu leben? Und wer hilft
ihnen? Sie sich selbst? Ihre Familie, Nachbarn oder Freunde? Die Gruppe, Gemeinde oder Organisation?
Traditionelle Heiler? Oder professionelle Helfer? Und was hilft ihnen dabei? Einzel- oder
Gruppentherapie? Experimentelle Spielräume? Die offizielle Anerkennung ihres Leids? Die
„Wiedergutmachung“, die Entschädigung? Die Bestrafung der Täter? Die
Verschaffung einer Aufenthaltsgenehmigung, eine gesicherte ökonomische Existenz?
Im Spannungsfeld all dieser Fragen spielt sich die psychosoziale Arbeit mit Flüchtlingen ab.
Als sozialmedizinische Menschenrechtsorganisation arbeitet die Medizinische Flüchtlingshilfe
daher niemals allein medizinisch, psychologisch oder ausschließlich politisch, sondern sie hat
stets jedes dieser Felder gleichzeitig im Auge.
Die Veranstaltungsreihe „Folter – Trauma – Gerechtigkeit heilt!“ soll die
unterschiedlichen Aspekte dieser Arbeit beleuchten und der Forderung nach einem Bochumer
Therapiezentrum für Überlebende von Folter und Krieg Nachdruck verleihen.
Do 05. – Mi 11.02.2004, 18:00 Uhr, endstation.kino:
Arg / I 1999, R: Marco Bechis. B: Marco Bechis, Lara Fremder. Mit: Antonella Costa, Carlos
Echeverría, Dominique Sanda. 98 Min OmU
Buenos Aires zurzeit der Militärdiktatur: Die Studentin María wird von der Geheimpolizei
in eine stillgelegte Autowerkstatt verschleppt. Dort trifft sie auf Felix, ihren verschlossenen und
in sie verliebten Mitbewohner: er ist der „Verhör“-Spezialist. Während sich
daraus eine kaum vorstellbare Beziehung aus Macht, Zuneigung, Folter und Überlebenswillen
entwickelt, versucht Marías Mutter mit allen Mitteln, ihre Tochter zu finden. Marías
Spur endet über dem Meer; sie teilt das Schicksal von ca. 30.000 „Verschwundenen“
während der Diktatur. Die Rahmenhandlung zu „Junta“ ist eine wahre Geschichte.
Der Film wird bis zum 11.02.2004 täglich gezeigt.
Do 05.02.2004, 20:00 Uhr, Raum 6:
Esteban Cuya vom Nürnberger Menschenrechtszentrum wird über den Kampf gegen Straflosigkeit
von Menschenrechtsverbrechen in Argentinien informieren. Noch heute wird von
Menschenrechtsorganisationen und Anwaltsvereinigungen ebenso, wie von breiten Teilen der
Öffentlichkeit, mit großem Trickreichtum, einem hohen Maß an Akribie und einem
langen Atem versucht, die Schicksale der Diktaturopfer aufzuklären, Überlebende zu
rehabilitieren und die Täter vor Gericht zu stellen. Hierzulande meist unbekannt ist die
Tatsache, dass unter den Verschwundenen und Ermordeten der argentinischen Diktatur auch etwa hundert
Deutsche waren, um deren Überleben sich die damalige Regierung der Bundesrepublik nicht
scherte. Heute klagen die Angehörigen dieser Opfer vor deutschen Gerichten gegen die
Generäle und Folterknechte. Das Nürnberger Menschenrechtszentrum hat diese Anklagen durch
seine Unterstützung überhaupt erst möglich gemacht.
Di 10.02.2004, 20:00 Uhr, Raum 6:
Der seit seiner Flucht vor dem deutschen Faschismus in den Niederlanden lebende jüdische Arzt,
Psychoanalytiker und Schriftsteller Hans Keilson prägte 1979 die Sichtweise,
„Trauma“ nicht länger als ein einzelnes Ereignis, sondern als Abfolge traumatischer
Sequenzen unterschiedlichen Charakters und unterschiedlicher Bedeutung zu interpretieren. Dabei ist
für die individuellen Folgen nicht nur entscheidend, was initial erlebt wurde, sondern was auf
das traumatische Ereignis selbst folgte. Das Trauma wird darüber zum Produkt eines über
Jahre hinweg andauernden politischen, sozialen und individuellen Prozesses, der auch die kommenden
Generationen noch erfassen kann.
Für Flüchtlinge enden Traumatisierungsprozesse nicht mit Kriegsende, Haftentlassung oder
dem gelungenen Versuch, die Kriegs- oder Krisenregion zu verlassen. Daher arbeitet auch die
Medizinische Flüchtlingshilfe mit Keilsons Konzept, Trauma als psychosozialen Prozess
wahrzunehmen. Die Überlebenssituation von Flüchtlingen in der Bundesrepublik Deutschland
bedeutet für den traumatischen Prozess eine Institutionalisierung der Ohnmachtssituation.
Menschenunwürdige Unterbringungsbedingungen, Arbeitsverbot, nahezu fehlende soziale
Unterstützung und ein auf Notfallversorgung beschränkter medizinischer
Behandlungsanspruch, unsichere Aufenthaltsbedingungen, gekoppelt an die permanente Bedrohung,
abgeschoben zu werden, und Ausgrenzungspraktiken – durch staatliche Behörden ebenso wie
durch das abwehrende und abweisende gesellschaftliche Umfeld – verursachen, beschleunigen oder
begünstigen die Entstehung traumatischer Symptome oder verhindern systematisch jede Aussicht
auf Besserung.
Nach seiner Zeit im niederländischen Widerstand gründete Hans Keilson die jüdische
Waisenorganisation „Le Ezrat Ha Jeled“. Er gilt als einer der Pioniere der
Traumatherapie.
Mo 02.02. – So 15.02.2004, täglich ab 18.00 Uhr, endstation.kinocafé:
Die Veranstaltungen werden durch eine Fotoausstellung des Nürnberger Menschenrechtszentrums begleitet, die den Kampf gegen Straflosigkeit dokumentiert. Die Ausstellung „Nicht die Erde hat sie verschluckt“ widmet sich der internationalen Strafgerichtsbarkeit gegen Menschenrechtsverbrechen am Beispiel der deutschen Verschwundenen in Argentinien während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983. Einige dieser Fälle wurden in Deutschland zur Anzeige gebracht. Neben Hintergrundinformationen zur politischen Lage nach dem Militärputsch wird auf die psychosozialen Konsequenzen der Straflosigkeit von Menschenrechtsverbrechen eingegangen.
VeranstalterInnen:
Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum e.V. und Nord-Süd-Büro im
Bahnhof Langendreer in Zusammenarbeit mit endstation.kino;
unterstützt aus GfG-Mitteln durch die Bochum Agenda 21.
Veranstaltungsort:
Bahnhof Langendreer Bochum – Zentrum für Soziokultur,
Wallbaumweg 108, 44894 Bochum
Wegbeschreibung/Anfahrt